Freitag, 10. Dezember 2010

Die erste Zeitreise

(07/1984 aus "Die Treppe ins Jenseits")

Der letzte Handschlag war getan.
Zufrieden, sich selbst und sein Werk bewundernd, stand Dr. rer. nat. F. Sober vor seiner fertiggebauten Maschine. Betriebsbereit summte im Leerlauf der Temporator.

Sober wäre am liebsten sofort eingestiegen in diesen Käfig aus blanken Kupferrohr, um eine kurze Testfahrt zu unternehmen, vielleicht zwei, drei Wochen voraus, aber das passte wenig zu seinem pedantischen Sicherheitsbestreben.
Sorgsam nahm er die Liste zur Hand, die die Aufstellung aller unentbehrlichen Dinge enthielt. An jede Eventualität war gedacht.
Er las sich selbst jede Position laut vor, verstaute das Genannte und hakte Punkt für Punkt ab:
Verpflegungsration für fünf Tage, Allwetterkleidung, Waffen diverse, Videoausrüstung, Signalraketen, historische, genauestens datierte Karten der näheren Umgebung, ein altes mundartliches Lexikon.
Kiste Nr. 1 war vollständig und wurde im Gepäckbereich verstaut.
In die zweite Kiste kamen das wichtigere Werkzeug, eine Miniaturwerkstatt mit Energieblock, Fachliteratur und natürlich seine eigenen wissenschaftlichen Aufzeichnungen.
Die dritte Kiste blieb allein dem Reservetemporator vorbehalten, dieser, seiner empfindlichsten Apparatur, dem Herzstück der Maschine.

Nochmaliger Listencheck: alles OK!
Zitternd stand er vor seinem Lebenswerk, das jetzt abfahrbereit war. Die vierte Dimension stand ihm offen. Er hatte sich alle Naturgesetze unterworfen, zu Nutze gemacht. Der Traum eines H. G. Wells oder eines Oswald Levett würde zur Realität werden. Phantastisch!
Ein Grinsen flog über sein Gesicht, als er an das Schicksal des Erasmus Büttgemeister dachte. Ein literarisches Heldenschicksal?
Nein, dilettantische Unvorsichtigkeit, geblendet von der eigenen Idee!
Ihm konnte so etwas nicht passieren.
Sober hatte aber auch alle philosophisches Probleme seiner kommenden Zeitreisen hartnäckig verdrängt. Seine Überlegungen galten lediglich seinem eigenen Schicksal. Was wäre, wenn er in der Zukunft sterben würde? Er wäre verschollen vom Zeitpunkt der Abreise.
Wie wäre es aber mit der Vergangenheit? Wäre dann nicht seine ganze Existenz getilgt?
Er tat das als ganz unnötige Überlegung ab. Unnötig, weil für einen Felix Sober unzutreffend, außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit...

Er würde nur die Zeit durchreisen, räumlich gefesselt an die bestehenden Örtlichkeiten. Durch das durch ihn entdeckte 'Massenunbestimmtheitstheorem ungleicher Zeitvektoren' bot seine Maschine Sicherheit bei allen erdenklichen Situationen, wie Erdbeben, Flutwellen und weit Schlimmeres. Körper verschiedener Zeitdynamik würden sich durchdringen, ohne irgendwelche Kräfte und Felder wirken zu lassen. Die Gefahrenvariante war gleich Null!
Bei einem beabsichtigten Halt könne er vor Synchronisierung der Zeitdynamik die Umgebung gleichsam im Zeitraffertempo inspizieren. Alle erdenklichen Bedrohungen lauerten lediglich im dreidimensionalen Raum, also nur bei Stillstand der Maschine.

Der Zeitpunkt der Abreise stand unmittelbar bevor. Die allererste Reise sollte ganz im Stillen erfolgen. Den Ruhm für die jahrelange Arbeit könne er später noch genügend auskosten.
Sober bestieg sein Gefährt. Ein wahrhaftiges Wunderwerk!
Er befühlte die Armaturentafel, als sei der Apparat ein unbekanntes, aber irgendwie vertrautes Wesen. Zärtlich strich er über die Skalen und polierten Tasten. Dann rutschte er solange auf dem Sitz herum, bis er glaubte, die bequemste Haltung gefunden zu haben. Die Zieldatierung wurde auf minus einhundert Jahre eingestellt: NEG 3.1536 EE09.
Sober blickte auf die Borduhr, danach auf die im Zimmer aufgestellte Vergleichsuhr. Beide liefen synchron, zeigten 11:51 Uhr.
Als er den Startknopf drückte war es genau 11:51:58 Uhr. Pedantisch wie er war, entging ihm nicht, dass die nächste Sekunde etwas verfrüht in der Vergleichsuhr angezeigt wurde. Ein Freudentaumel überwältigte diese von Logik durchdrungene, sonst so emotionslose Rechnergestalt: Es klappt!
Komisch war nur, dass sich die Maschine erst fast unmerklich, jetzt immer schneller, von der Zimmeruhr entfernte. Die Schrecksekunde hatte er erst überstanden, als er reibungslos durch die Gemäuer glitt: Der Raum!
Sober hatte nicht bedacht, dass er ja im Raum fixiert war, wogegen die Erde rotiert, mit etwa dreißig Metern pro Sekunde um die Sonne rast, die Sonne um das Galaxiezentrum zieht und und und...

Er glitt mit seinem Apparat in den freien Raum.
Ein unverzeihlicher, nicht korrigierbarer Fehler war ihm unterlaufen. Er hatte die Relativität der Bewegung als Absolutum akzeptiert!
Er sah die Erde noch als kleinen blauen Punkt, als er darauf kam, dass eine Korrektur dieser multivektoriellen Bewegung ausgeschlossen sei, da sich nichts, außer ihm im räumlichen Stillstand befand.
Angstschweiß bedeckte seine Stirn, die feuchten Finger klammerten sich an die Armlehnen, als er die Sonne oder irgendeine Sonne auf sich zukommen sah.

Geblendet schließt er die Augen, gemartert von dem noch immer unerträglichen Licht von vor zehn Jahren...

Sober will umkehren, doch dann wäre für einen unermesslich kurzen Moment der Zeitvektor relativ zur Umgebung gleich Null, also synchron, was Verlust der schützenden Zeitblase bedeuten würde. Als Selbstmordvariante sicher interessant, aber will er denn sterben?!

Nein, Sober gibt nicht auf. Er will an den Ursprung allen Seins. Mit der letzten Willenskraft dreht er den Beschleunigungsregler bis ans Maximum.

Als er wieder die Augen öffnet, sieht er das Universum mit all seinen Lichtpünktchen wild durcheinanderrasen, etwas später zu einem homogenen Schwarz werden. Die Borduhr zeigt 12:20 Uhr, als er nicht einmal mehr die Tiefe des Raumes erahnen kann...

Mittwoch, 17. November 2010

Hans-Herbert oder Ein ganz normaler Gartennachbar

(1996 für den Barnimer 'Eberhard' geschrieben)

Er ist eigentlich überhaupt nicht mein Gartennachbar, jedenfalls nicht im üblichen Sinne, wie ich Ihnen später noch erklären werde. Ich glaube, Hans-Herbert ist auch nicht sein richtiger Name, aber ich möchte ihn auch irgendwie etwas kränken: Hans-Herbert klingt nämlich für meine Ohren überhaupt nicht nett...
Unsere Geschichte ist auch überhaupt nicht neu. Ob sie je verfilmt wurde, weiß ich zwar nicht (ist mir auch ziemlich egal!), geschrieben wurde jedenfalls schon oft über uns, ich meine über Hans-Herbert und mich. Wenn ich sage mich, dann meine ich selbstverständlich alle aus meiner Sippe. Hans-Herbert muß nun auch nicht gerade der Hans-Herbert sein. Verstehen Sie mich eigentlich? Na ja, wahrscheinlich muß ich etwas mehr ausholen, also... Augenblicklich bitte ich aber um eine kleine Pause, denn ich merke, wie er sich nähert. Ich muß also einen Moment abtauchen, wenn Sie wissen, was ich meine.

Tja, da bin ich also wieder. Wie ich ihn, Hans-Herbert, so gut erkenne? Seine Gangart ist gestört. Hinken kann man es wohl nicht nennen, aber irgendwie wirken seine Bewegungen immer unregelmäßig und unkoordiniert. Er sprach vor Wochen mal mit einem anderen Nachbarn über Beschwerden, an denen er seit geraumer Zeit wohl leidet. Nein, ich lausche eigentlich nicht, aber manche Dinge bekommt man einfach ungewollt mit. (Sie glauben ja gar nicht, wie sich manche Leute auch beschimpfen, wenn sie sich unbeobachtet fühlen. Ich sage nur: Menschen!) Jedenfalls fiel einmal der Begriff "unklare Schwermetallsymptomatik". Von Herbiziden, Pestiziden, Fungiziden und solchen Dingen war auch noch die Rede. Der andere Nachbar nannte ihn dabei wohl bei seinem richtigen Namen: er sagte Spray-Dosen-Ede zu ihm. (Übrigens etwas weiter weg wohnt einer, der heißt Goldkettchen-Ede. Ich habe vielleicht gelacht.) Ede scheint jedenfalls ein häufiger Name zu sein...
Ich schweife aber schon wieder ab. Dieser starke Geruch bringt mich aber auch völlig aus dem Konzept. Hans-Herbert (ich bleibe jetzt bei diesem Namen!) hat also wieder mächtig "rumgeschweinigelt". So nennen es jedenfalls manchmal die Menschen. Daran erkennt man wieder sehr deutlich, daß sie die Igel überhaupt nicht kennen. Also, der Igel an sich...
Nein, nein, nein, das werde ich jetzt aber nicht erzählen. Wir sind ja gerade bei einem ganz anderen Thema: Mein Nachbar, der Mensch oder so ähnlich, falls Sie schon ahnen, was ich meine. Hans-Herbert ist jedenfalls eine ziemlich zwiespältige Persönlichkeit: Einerseits liebt er die Natur (Gartenfreund, Laubenpieper und so), andererseits rennt er (humpelt er) ständig allen möglichen Vertretern der krabbelnden und flatternden Insekten nach, um sie mittels seiner Spraydosen zu bestäuben, was denen meist überhaupt nicht gut bekommt. Eine große Portion Absicht scheint dabei deutlich mit im Spiel zu sein. Anfangs dachte ich auch, er sei ziemlich schlau, grub er doch in frischen Maulwurfshügeln nach Würmern... Aber Würmer wollte er gar nicht. Er wollte Maulwurf.
Mich schüttelts bei diesem Gedanken! Legten andere Gartenfreunde noch in Seifenlauge gekochte Nüsse in die Gänge, um unsereiner zu vergraulen (... das ist auch wirklich eine üble Masche!), zog er die aktivere Bekämpfungsmethode vor: Giftgas, Giftköder (wie hinterhältig!). Na, jetzt wissen Sie ja, wer ich bin. Sie können sich auch leicht denken, weshalb ich bei dieser Geschichte nicht ganz unparteiisch sein kann, nicht wahr? Eigentlich wollte ich Sie auch nur bitten, auf solche Cocktails in unserem Sinne zu verzichten. Mit in unserem Sinne meine ich auch in Ihrem Sinne... Sehen Sie, die ständige Anwendung der verschiedensten Pflanzenschutzmittel (diese Bezeichnung muß man sich mal auf der Zunge zergehen lassen, oder vielleicht lieber doch nicht...), Insektengifte und anderer bösartiger Substanzen, kombiniert mit einem Schuß (manchmal war es auch etwas mehr, als ein Schuß) solcher gutklingenden Lösungsmittel, wie Butylacetat, Isopropanol oder Petrolether, hat mich nicht umgebracht, sondern andere wundersame Veränderungen hervorgebracht: Ich kann denken! Ja, ich meine das so, wie Sie es für Ihre Gattung zu verstehen meinen. Denken!

Unglaublich, was? Noch weiß ich nicht, ob ich darüber glücklich sein soll... Schnüffelte ich doch früher jedem Regenwurm hinterher, döse ich jetzt manchmal mit knurrendem Magen und sinniere dabei über Begriffe, wie kovalente Bindung, Löslichkeitsprodukt, LD50, biologische Halbwertszeit usw. Deswegen kann ich ihnen wirklich nicht sagen, wie ich's finden soll. Einen Vorteil, hat aber die Angelegenheit: Ich bin wehrhaft geworden!
Meine Quellen möchte ich Ihnen noch nicht preisgeben, aber ich habe Kenntnisse z.B. über das Akkumulationsverhalten verschiedener Schwermetalle und auch über die Mutagenität verschiedener heterozyklischer Verbindingen. Geht Ihnen schon ein Licht auf?

Jetzt grabe ich mich gerade zur zweiten wasserführenden Schicht durch, was nicht gerade einfach ist. Da kann ich mein Wissen noch effektiver einsetzen. Sie verstehen schon: Wasserpumpe und so.
Sie glauben ja gar nicht, welche Mengen toxischer Substanzen ich in kürzester Zeit in diesem Garten zusammensammeln konnte...


Wieder ein Abend mit Erich

(04/2006)

Wie haben wir uns gefreut! Naja, Marie musste ich schon etwas überreden.
Beim letzten Konzert im Columbia blieben wir drei Freunde nach dem Ende noch fast eine Stunde stehen, genossen den Ausklang bei einem Bier und sahen den Roadies beim Abbau zu. Wir beschlossen, beim nächsten Mal unbedingt unsere Frauen mitzunehmen.

Ich liebe diese "Rentnerkonzerte"! Diese fangen stets pünktlich an, dauern mit Zugabe genau 90 Minuten. Wie auf Knopfdruck kommt dabei die Stimmung (auch ohne Anheizer-Band) und man akzeptiert diese einzige geplante Zugabe, weil man ohnehin lange genug gestanden hat... Und ganz wichtig ist, dass es dort wenig Akzellerierte gibt, die einem die Sicht zur Bühne versperren könnten. Man wird also von den anderen Grauköppen, Glatzköpfen und lederbewamsten Langhaarigen oder Bekopftuchten selten überragt. Meist ist auch der Andrang so gemäßigt, dass man zwischendurch ruhig sein Bier holen kann und dennoch den Stammplatz wiederfindet.
Über die Musik muss ich hier natürlich nichts sagen. Das Ist doch klar!

An diesem Sonntag war es aber ganz anders. Schon, dass es ein Sonntag war und kein Freitag oder Sonnabend. Wir fuhren so los, dass wir gemütlich unseren Stehplatz einnehmen hätten können, vielleicht schon ein Bier kaufen und dann dem Beginn lauschen würden. Pustekuchen!
Es war garnicht im Columbia, wo man meist auf dem Mittelstreifen parken kann oder, sollte es ausnahmsweise besetzt sein, immernoch im Flughafengelände einen guten Parkplatz findet.
Nee, Kulturbrauerei war angesagt, d.h. im Prenzlberg, dort, wo man zu keiner Zeit eine ausreichende Lücke findet...
Parkhaus? "Besetzt" stand dran, aber vielleicht bedeutet das nur "Besetzt für Nicht-Konzertbesucher"?. Da die Schranke sich nicht hob, hieß "Besetzt" wirklich "Besetzt". Im Rückwärtsgang in Kolonne auf die Einbahnstraße zurück, neue Runde, noch zehn Minuten.
Mist, jetzt fängt das Konzert an! Letzte Chance (naja, 'ne halbe Stunde verpassen wir nun leider!): Schnell zum Alex, Parken auf dem Mittelstreifen, Taxistand vor dem Hotel...
Eine halbe Stunde nach Beginn waren wir dann im Innenhof und mussten Anstehen! Etwa 150 Meter doppelte Menschenschlange trennten uns noch vom Eingang. Da nichts zu hören war, hofften wir, die Animals warten, bis alle drin sind. Oder ist das alte Kesselhaus so gut schallisoliert?
Wir schafften es zum Eingang (widerstandslos ließ ich mir die Kamera abnehmen), und wir betraten den "Saal".
Die Musik war etwas fremd. Noch nie habe ich eine Vorband so gemocht!

Bier gab es, nicht die richtige Sorte, aber immerhin. Wir drängelten zur Biertheke und blieben dann dort in der Nähe stehen. So voll kannte ich es nicht, nicht im Huxley's und nicht im Columbia. Wir waren mit unserem ältesten Sohn und mit Freunden verabredet, aber schätzten die Chancen auf ein Begegnen als eher gering ein. Dann erklang auch schon die "spanische" Variante des Intros zu "Don't Let Me Be Misunderstood"...
Das Konzert war grandios wie immer. Angeblich nicht so, wie auf den Sommerfestivals, aber da fehlte uns der Vergleich. Umarmt wippten wir durch die bis dahin eineinhalb Stunden, genossen die Musik, und zwangen durch unseren anhaltenden Applaus ALLE Musiker des Abends zum gemeinsamen Finale erneut auf die Bühne. Wahnsinn!

Wir blieben danach noch völlig fasziniert stehen. Der Saal leerte sich allmählich, wir trafen dann unsere Freunde, unser Kind und weitere Bekannte. Paula, die rothaarige Bass-Gitarristin der (ganz neuen) Animals ging noch mit einem lächelnden Gruß durch unsere Gruppe.
Wollte sie vielleicht für sich auch einen Hauch dieses "post concert feelings" einfangen?

Alte Rostlaube...

(01/2006, 11/2010)

Was man auch sonst so alles erleben kann, zeigt eine kurze Begebenheit am 5. Januar 2006 gegen 18:45 Uhr an der Ampelkreuzung Acker-/Ecke Wilhelm-Pieck-Straße (die heißt jetzt anders) - damals durfte ich auch noch in die ZONE einreisen.

Als es gerade grün wird, reißt jemand die 'Tür' auf: "Oh! Was ist denn das? Wo gibt's denn den? Wer baut denn so etwas? Das Lenkrad ist ja gar nicht rechts...".
Meine Antworten fallen eher einsilbrig aus, der nachfolgende Fahrer rangiert bereits, böse Blicke verlierend, vorbei. 
Als es gelb wird kann ich etwas ausführlicher antworten. Der Besucher verabschiedet sich nett.

Kurz bevor es wieder grün wird, kommt der Fremde noch einmal zurück und fragt: "Und wo bekommt man den?".


Mittwoch, 15. September 2010

Ein ganz normaler Morgen

(04/2006)

War es die Sonne? Ganz bestimmt! Es fing jedenfalls "gut" an an diesem Tag. Meine Gartendusche war eingefroren, der Grüne Tee zog viel zu lange und die Sonne hatte dieses eigenartige Farbe. Es war nicht dieser Rot- oder Goldton der aufgehenden Sonne. Nein, ein gleißendes Weiß! Die Baumwipfel sahen ganz anders aus als sonst. An der großen Weide sah man, dass sie völlig bemoost ist. Ob rings rum, weiß ich nicht, aber Richtung Südosten von oben bis unten flächendeckend...
Das erkannte man nun in einer nie gesehenen Deutlichkeit. War es die Andersartigkeit des Lichts, war es nur diese besondere Aufmerksamkeit?
Ein typischer April-Morgen? Wie ist dieser Tornado in Hamburg von vor zwei Wochen zu werten? ...das Hagelgewitter gestern, das Hochwasser an der Elbe heute, Dürre in Südengland dieses Jahr, El Niño überhaupt?
Ungeachtet der globalen Erwärmung tuckerte ich in die Innenstadt.
Die morgendliche Hektik des Berufsverkehrs war etwas anders als sonst, irgendwie "ruckliger", völlig ungeschmeidig, agressiv, beinahe rücksichtslos: Hupkonzert für einen Fahrschüler, der den Motor abgwürgt hatte. Danach ein roter BMW (hatte der eben noch mitgehupt?), der am "Berg" nicht wegkam. Bremsen, Zurückrollen, Bremsen, weiter Zurückrollen, dazwischen Einschalten der Wisch-Wasch-Anlage in Ermangelung einer Panikbedienungsanleitung.
Es klappte aber noch, dass dieses Fahrzeug irgendwann doch bergan fuhr. Wir anderen nahmen eben die nächste Grünphase...
Am Ziel angekommen erwartete einen die tägliche Parkplatzsuche. Bin ich zwei- oder dreimal ums Karré gefahren, um dann doch einen etwas längeren Fußweg inkauf zu nehmen? Man soll sich ja sowieso mehr bewegen...
Je nach dem, wo ich eine Parklücke finde, frühstücke ich Äpfel oder süße und fettige Splitterbrötchen oder kaufe eine Junge Welt (ohne Frühstück). Heute gab es zwei knackige Äpfel, gleich im Laden abgewaschen. Einer ist jetzt noch übrig.

Pampelmusensaft

(05/2006)

Ich kann einfach nicht anders! Immer, wenn ich in Frankfurt/Main am Hauptbahnhof ankomme, muss ich mir einen frischgepressten Pampelmusensaft kaufen.
Mit der gewissen Sturheit eines Bürgers, der diese Bezeichnung noch aus der Zeit kennt, als Pampelmusen vorsorglich auf Diabetikerausweis bezogen werden konnten, überlasse ich die Wortanalyse stets den Verkaufskräften. Meist findet sich auch einer, der herausfindet, dass es sich um "Grapefruit juice" handeln müsse.
Beim letzten Mal ließ ich mich jedoch belehren, dass nämlich "Pampelmuse" ein Dialekt sei, die korrekte deutsche Bezeichnung jedoch "Grapefruit" lautet... Dabei guckte der Verkäufer im Saftladen mich dermaßen durchdringend an, dass ich mich sofort meines prähistorischen Dialektes schämte. Mein zaghafter Einwand mit "Apfelsine" und "Orange" als Gegenbeispiel wurde nicht nur nicht akzeptiert, sondern geradezu abgeschmettert.
Nun gut, wieder was gelernt... Immerhin hatte ich ja meinen Pampelmusensaft.

Brief an W.

(02/2006)

Mein lieber Freund,
seit mehr als zehn Jahren haben wir uns nicht mehr gegenüber gestanden, gemeinsam Bier getrunken oder einfach nur gelacht. Zehn Jahre sind eine ganz schön lange Zeit!

Bei den Bildern, die ich von Dir im Gedächtnis habe, dominieren immer wieder die Selben: In der zweiten oder dritten Klasse liege ich nach einem ordentlichen Haken in die Magengegend im Schulflur. Oder, ich sehe Dich, wie Du mir beim Pantha-Rhei-Konzert auf dem kleinen Bunkerberg (es war während  d e r  Weltfestspiele) beim gestöhnten Titel "Play With Fire" sagst:"Wir können uns nachher das Original anhören und auch alle anderen Stones-Titel".
...und Deine Morgenzigarette noch auf dem Bettrand im alten Haus bei Tante Friedel. Und die Nächte bei Dir zu Hause mit Musik, Berliner Spezial und Cabinet. Und niemals kamen Deine Eltern rein: "Macht die Idiotenmusik sofort leiser!". Du weißt genau, warum ich jetzt gerade schmunzeln muss, obwohl ich bei diesen Erinnerungen eigentlich ganz traurig werde...

"You Can't Always Get What You Want" stand über Deiner Tür, und diese Jagger-Weisheit ist eigentlich auch mein Leitspruch geworden. Neben dem Ofen stand "Are You Know You Are A Living Wreck". Oh ja, nach dem dritten Bier verstand ich damals auch dieses Motto ganz genau. Mann, das ist jetzt schon über dreißig Jahre her...

Ich vermisse die offenen, kontroversen Diskussionen mit Dir, besonders aber die Ausflüge mit unseren Frauen und Kindern nach Stralau oder nur in den Hain.
Viel Zeit ist vergangen, und ich vermute, solch eine innige und offene Jugendfreundschaft ist nicht wiederholbar. Ganz bestimmt war es ein Glücksfall, Dich zu treffen. Vielleicht ist man aber auch im Erwachsenenalter insgesamt distanzierter und vorsichtiger mit den eigenen Gefühlen.
...und ich weiß ganz genau, auch Andere vermissen Dich sehr.
Zehn Jahre sind jedenfalls nicht lang genug, den Schmerz und die Trauer zu vergessen.

Betriebsgeheimnisse

Unser Institut richtet wieder eine wissenschaftliche Tagung aus, wie so oft.
Und ich kann Ihnen sagen, wir sind wirklich schlecht. Ja schon, die Evaluationsbögen zeigen ganz gute Noten, aber stimmen die so?

Die Mittelmäßigkeit bestimmt unser Tun - schlimmer, ist der Maßstab unseres Tuns.
Wir orientieren uns am Schlechten, klopfen uns dabei aber ständig wohlwollend selbst auf die Schulter.
...selbstverliebte Referenten, zu wenig Kaffee, Werbematerialien, die mäßig gestaltet sind, dafür aber Urheberrecht verletzen. Vielleicht merkt's ja keiner.

Wie geht es weiter? Ein Riesenheer an Buchhaltern und gleich mehrere Geschäftsführer rechnen die Finanzen schön, denn von unseren Kunden können wir schlecht (über)leben. Außerdem kommen die, die bei uns waren, selten ein zweites Mal.
Universaldilettanten sind wir nicht, denn das setzt wenigstens etwas Fachkompetenz voraus. Nein, die die etwas überhaupt nicht können, sollen genau dort ihre Kenntnisse erweitern. 'Learning by doing' also, aber auf Level 1 (oder BF - basement floor, aber ich will ja kein Nestbeschmutzer sein!).

Jedenfalls geht es abwärts, weshalb wir unsere Fahne höher hängen müssen: neues Logo, teurerer Firmenwagen, bunterer Webauftritt (noch unübersichtlicher), größere Räume, ein helleres Foyer.
Unsere soziale Ader gestattet es nicht, unfähige oder mäßig engagierte Mitarbeiter zu entlassen. Wir sitzen alle in einem Boot und werden alle gemeinsam untergehen!
Ich könnte Ihnen am nächsten Montag einen Termin geben...

(09/2010)

Dienstag, 14. September 2010

Volkszählung

(09/2010)

Na, wollt Ihr uns nicht wieder mal auf den Senkel gehen mit 'ner Volkszählung?!
Ich habe hier schon die korrekte Antwort: Eins.
Ja, wir sind ein Volk.

Schon klar, die wollen mehr zählen: jeden Hansel sozusagen. Wieso eigentlich?
Es stehen wohl immer noch oder schon wieder ganze Säcke mit Meldezetteln im Keller vom Prenzl'berg rum?
Früher wusste auch nur verlässlich allein der Kohlenmann, WER, WO, WIEVIEL.
Gibt es heute keinen Kohlenmann mehr?
Habt Ihr das nicht in Euren ganzen Scheißcomputern drin?!
Fragt doch mal die GEZ.

Logisch, ist das 'ne gute Idee. Für den Anfang jedenfalls, denn da sind das eine oder andere Haustier erfasst, aber bestimmt nicht jeder Migrant. Nacharbeit wird also fällig werden.

Anders geht es aber vielleicht auch gar nicht. Bestimmt würden wieder die Magneterhebungsbögen mit dem Hinweis 'Bitte NICHT knicken!' genau mittig geknickt werden, oder man überprüft - zeitgemäß - die Haltbarkeit der heutzutage eingebetteten RFID-Chips kurz mal in der Mikrowelle.

Ja, es ist ein Naturgesetz, dass sich ein Volk nicht gerne zählen lässt. Das ist nicht a priori so, nur bis jetzt brachten alle Zählungen immer nur Schlechtes. Ja, schon klar, aber Jesus gehört hier jetzt wirklich nicht hinein.
Nee, ich denke an Steuern, Abgaben, Ab- und Anmeldeverpflichtungen, gegebenenfalls den Wegfall von Zuwendungen und und und.

Das gewitzte Volk schafft es garantiert wieder, sich dieser staatlichen Spionage zu entziehen. Vielleicht sogar so, dass die Verantwortlichen das nicht einmal merken.
Keine Angst! Irgendwie klappt es, und das stets völlig unabhängig vom System.
Also doch EIN Volk?

Freunde

(09/2010)

Krümelkaffee. Äh, bitte?
Oh, entschuldigen Sie bitte. Ich war gerade mit meinen Gedanken nicht hier.
Ja, ich hätte gerne einen Krümelkaffee, 'türkisch' also. Das Wasser muss sprudeln! Unbedingt. Also während des Aufgießens, nicht fünf Minuten davor. Ja, ich weiß, aber vergessen Sie mal bitte für einen Moment die Blutfette.
Sie selbst nehmen sich keinen Kaffee?!

Was Sie von mir wissen wollen, verstehe ich schon irgendwie schemenhaft, aber wie lauten Ihre konkreten Fragen?
Ja, na klar, seit etwa fünfzehn Jahren verbringen wir fast jeden Urlaub gemeinsam. Wir lassen keinen Geburtstag aus und feiern auch gemeinsam Silvester. Aber das wissen Sie doch alles bereits.
Unsere Familien sind befreundet. Sogar die Kinder sind regelmäßig zusammen.

Warum fragen Sie das? Gibt es von Ihrer Seite entsprechende Verdächtigungen?
Aber wieso denn? Er hat doch sein eigenes Labor und kann sich seine Mitarbeiter selbst aussuchen. Der Verdienst in dieser Abteilung ist außergewöhnlich hoch. Das ist aber alles legal. Die Buchhaltung steht dahinter. Natürlich auch die Geschäftsführung. Es heißt immer, außergewöhnliche Leistungen müssen auch bezahlt werden.

Und jetzt kommen Sie einfach daher und wollen mich in diesen Sumpf hineinstoßen!
Natürlich helfe ich Ihnen. Nein es geht mir hierbei nicht um Geld, aber falls vielleicht eine Stelle vakant wäre...
Sie verstehen.
Sie können sich hier wirklich voll und ganz auf mich verlassen - er ist doch mein Freund.

Montag, 13. September 2010

Recherchen

(09/2010)

So ein Mist! Da findet man endlich das Gesuchte, und die IT-Fuzzis haben nichts besseres zu tun, als meinen Internetzugang zu sperren.
Was war es denn nun diesmal? Zu viele Popups, vielsagende Fotos oder Schlüsselworte, die die Alarmglöckchen haben erklingen lassen? Zart säuselnd...
Natürlich schalten die mich wieder frei, aber das dauert erst einmal... Und was mache ich inzwischen?
Da haben die Blödmänner mir mein Arbeitswerkzeug weggenommen. Ein Rechercheur braucht nun mal das Internet!

Es ist doch klar, dass bei meinen Recherchen Dinge zum Vorschein kommen, die anstößig oder u.U. auch verboten sein können. Darum geht es ja schließlich. Und ich kann Ihnen sagen, das macht keinen Spaß! Ja wirklich.
Der dienstliche Zwang, im Dreck zu stochern - Verzeihung! - im allwissenden, nie etwas vergessenden Internet zu stöbern, ist keineswegs aufgeilend oder besonders anregend. Nein, die Befriedigung der Arbeit kommt aus den Zusammenhängen, Verknüpfungen, unerwarteten Beziehungen. Und das ist dann oft wirklich interessant!

Die IT-ler brauchen aber heute wirklich lang, meine IP-Adresse meinem Aufgabenprofil zuzuordnen, um mich wieder freischalten zu dürfen. Ich hoffe, die wissen, dass Zeit Geld ist.

Wo war ich stehengeblieben?
Ach so, beim Spaß. Ja, den gibt's nicht. Jedenfalls nicht so.
Manchmal ist es richtig dramatisch, wenn jemand in einem Forum durch Ansprechen mit dem Klarnamen nach außen enttarnt wird, die selbe E-Mail-Adresse vermeintlich anonymen Blogs zugeordnet werden kann, die geloggten IP-Adressen das zweifelsfrei belegen, dazu vielleicht noch ein großer Bilderpool existiert möglichst mit mehr 'privaten' Aufnahmen...
Muss ich noch detaillierter werden?

Ich kann nicht nur Ihre letzten Urlaubsreisen nachvollziehen, ich kenne Ihre Wohnung, Ihre Freunde, Ihre Vorlieben - ja, die privaten auch.
Ihre Fotos sind verschlagwortet, sind gegeotaggt. Gesichter haben Namen bekommen...
Bei den Recherchen wächst ein virtuelles Spinnennetz als Abbild des richtigen Lebens. Sie haben nicht-öffentliche Fotoalben? Für wen denn 'nicht-öffentlich'? Für uns jedenfalls nicht!
Wir werten Ihre E-Mails aus. Diskret, versteht sich! Wir wissen sogar, ob es gerade bei Ihnen zu Hause regnet...

Schauen Sie mal bitte auf meinen Bildschirm! Ist das der Geburtstag Ihrer Mutter? Und ist das hier Ihre Kreditkartennummer? Heißen Sie im Gesundheitsforum etwa...?
Wo rennen Sie denn hin?! Ich bin doch noch gar nicht dazu gekommen, Sie nach Ihrem Anliegen zu befragen...
Egal, ich bin ja sowieso nur derjenige, der die virtuellen Netze validiert, die ganz automatisch u.a. auch medizinische Datenbanken, Krankenkassendaten, Steuererklärungen, die Verkehrssünderdatei und Kontenbewegungen verknüpfen und auswerten.

Mittwoch, 8. September 2010

Aussonderungen

(09/2010)

Rechtsvorschriften, Verordnungen, Richtlinien - ja, das kann schon ganz interessant sein, wenn Sie verstehen, was ich meine...
Na ja, wer möchte nicht an meiner Stelle sein?
Natürlich soll alles transparent  ablaufen - tut es irgendwie auch - aber mein bester Ratgeber ist die Willkür. Ich bin auch nicht gerecht. Nein ganz bestimmt nicht!

Ich bevorzuge ganz einfach junge Frauen. Und dabei bin ich nun wieder überhaupt nicht festgelegt. Mir ist der naive Blick genauso lieb wie die offene Herausforderung. Haarfarbe oder Figur, Körbchengröße oder Sitzbreite spielen absolut keine Rolle.
Aber irgendwie brauche ich immer eine Trophäe.
Ja ich weiß. Völlig normal ist das nicht, aber ich tue ja niemanden weh.
Manchmal behalte ich einfach das Foto aus den Bewerbungsschreiben, oder ich lass mir unter einem Vorwand eine Schriftprobe geben, oder aber ich bewahre im Nachhinein das benutzte Wasserglas auf...

Nun machen Sie aber mal 'nen Punkt! Ich klau' doch keine Unterwäsche. Manche meiner Kollegen sammeln Video- und Audiodateien, aber ich bin mehr der 'handfeste' Typ. Mit dem ganzen elektronischen Scheiß - Verzeihung - kann ich eigentlich wenig anfangen.
Meine Marotte ist niemandem bekannt, und meine Gleichbehandlung aller jungen Bewerberinnen hat mir eher den Ruf des ganz objektiven Mäzens eingebracht.
Dass es alles junge Dinger sind, ich bitte Sie. Mein Alter und meine Erfahrung sind dafür Erklärung genug...

Gönnerhaft durchforste ich die Unterlagen und Leistungsbewertungsprüfbögen, recherchiere noch unklare, offene Punkte - jedenfalls sieht es für den Außenstehenden so aus - und treffe auf dieser Basis meine Entscheidungen, die eigentlich von Anfang an feststehen...

Ist DAS Macht? Oder ist eher das Durchschauen und aktive Missachten des Bewertungssystems Macht?
Mein Mentor lehrte mich, stets unerwartet oder sogar entgegen der Erwartung zu entscheiden. Das allein hält die Menschen ruhig. Wer zweifelt schon bestehende Strukturen an, wenn der Nachbar, der Kollege, der Freund irgendwo ganz unberechtigt bevorzugt wird? Na sehen Sie!

Aber ich eifere dem nicht nach. Nein - und hier kommt wieder meine Abneigung gegen diesen elektronischen Krimskrams ins Spiel - denn dieser allseits geehrte Mentor las nie irgendwelche E-Mails, die nicht als DRINGEND gekennzeichnet waren. Wie Sie sich nun denken können, ist bei uns heutzutage wirklich jede elektronische Nachricht mit dem roten Ausrufezeichen geschmückt. Ich hasse das! Nach welchen Algorithmen soll man da zuverlässig filtern?!

Das Wartungspersonal scheint nebenan zu arbeiten. Ich kann gerade nicht auf den Drucker zugreifen. Wahrscheinlich wird das nur fünf, sechs Minuten dauern. Jetzt hat jemand das Licht ausgemacht. Nur ich kann nicht einmal mehr irgendwelche Kontrolllämpchen sehen. Sogar die Lichtschalter-LED ist aus.
Und kalt ist mir. So kalt, wie mir nie zuvor war. Dunkel und kalt!
War es das jetzt? Kommt das Ende so plötzlich und so... irgendwie unspektakulär?
Dunkelheit, Kälte, Ruhe... Tod?
Tod!

Man ist der alte Kasten schwer! Es ist, als hätten diese alten Recheneinheiten irgendwo eine Sollbruchstelle integriert, denn irgendwann laufen die Programme nicht mehr zuverlässig. Und guck mal hier! In der Aktensortiereinheit sammeln sich jede Menge Fotos.
Gedruckte Fotos von Wassergläsern...