Dienstag, 26. März 2013

Ein Blumenfreund

(04/1984 aus "Die Treppe ins Jenseits")

ZENTRALSTELLE FÜR BEGRÜNUNGSVERSUCHE
IN INDUSTRIELLEN BALLUNGSGEBIETEN
.
Diese Worte stehen, sich vom Grau des Institutsgebäudes abhebend, in überdimensionalen Lettern über dem Haupteingang.

Bevor ich eintrat sah ich mich aufmerksam um. Auch hier Begrünungsversuche: mickrige hölzerne Stäbchen steckten in der grauen Erde zu beiden Seiten des Portals. Zartgrüne Blättchen entfalteten sich in einer Nebelwelt, miniaturisierte Knöspchen zwischen graubelegten welken Blattresten, der Boden übersät mit trockenen krausen Zeugen der langwierigen Versuche...

Anheimelnd wirkte dieses "Grün" keineswegs. Es erzeugte eher eine Wehleidigkeit, ein Nostalgiedenken, eine Identifikation mit der brutalen Vergangenheit. Ich eilte die Stufen zur Tür hinauf, ließ mich in der Eingangshalle registrieren, steckte mir die Klemmkarte an die Jacke und lief zum Lift, nachdem die Vorhallentür auf mein Kärtchen reagiert hatte.

Der gespeicherte Magnetcode ließ den Lift in der dreiundzwanzigsten Etage halten. Eine weiche weibliche Computerstimme forderte zum Aussteigen auf. Ich bekam Lust, die Stimmenspenderin kennenzulernen...

Das vorprogtrammierte Öffenen der Glas- und Milchglastüren wies mir unverkennbar den Weg. Die Pictugramme an den Durchgängen konnte ich leider nicht entschlüsseln, die einzigartige Symbolik versetzte mich sogar in Erstaunen.
Vorerst endete mein Weg. Ich befand mich in einer kleinen Kammer und wieder war die zarte Stimme zu vernehmen: "Doktor Friedrichs! Bitte legen Sie Ihre Sachen ab. Sie haben sich jetzt einer Sicherheitsdusche zu unterziehen. Dieser Vorgang ist für Sie absolut ungefährlich. Ihre Magnetkarte behalten Sie bitte in der Hand."


Die Anweisungen befolgend begab ich mich in den Nebenraum mit dem Symbol für Strahlungsaktivität.
Während der Behandlung (ich konnte das am Aufleuchten eines kleinen Lämpchens mit dem Hinweis 'action' erkennen) betrachtete ich meine Magnetkarte.

Ein fürchterliches Gesicht glotzte mich an. Ich sah nicht sofort, dass das Abbild ja meine Züge trug: aufgenommen vor Betreten das Haupttores. Wie blöd man in manchen Situationen doch aussehen kann...!
Die Lampe erlosch. und eine weitere Tür tat sich auf. Ich schlüpfte in die bereitliegende Kombination mit dem großen G auf dem Rücken und einem kleineren auf der Herzseite.
Ich war also ab sofort als 'Gast' gekennzeichnet.
Während der Suche nach einer günstigen Befestigungsstelle für meinen Magnetkarte riet die Frauenstimme, diese in die linke Ärmeltasche zu stecken.

Ich kam zu einer Tür mit dem Symbol einer Pflanze. Ein Videoauge suchte meinen Körper ab und blieb dann auf meinen linken Oberarm gerichtet stehen. Lautloses Öffnen der Schleuse...

Wieder diese nicht lokalisierbare Stimme, bei deren Klang ich schon dachte, dass diese Frau vielleicht schon mehr als fünfzig Jahre tot sei. Die vormalige Wärme der Stimme wurde von meiner steril-kalten Umgebung vollständig absorbiert, so dass ich mir nun einen sabbernden Totenkopf vorstellte, der diese Laute artikulierte...
Mir fiel auf, dass ich auch nirgends einen Menschen sah. Ich beschleunigte mein Tempo, da eine ungewisse Unheimlichkeit mich frösteln ließ. Kalter Schweiß benetzte meine geliehene Bekleidung.




Jetzt..., jetzt stehe ich vor einer roten Tür. Gerade musste ich mein Notizbuch ablegen, aber ich denke, dass ich die kommenden Eindrücke auch so wiedergeben kann. Morgen werden diese dann in der Zeitung erscheinen, fettgedruckt meine Name, der Name dessen, der als erster über dieses Institut berichten wird.

Gerade erlosch das Licht. Ein irisierendes Rot strahlt von der Tür ab. Ein Teleskopauge kommt ganz dicht an mich heran. Als ich etwas zurückweiche, bemerke ich weitere in meiner Nackenregion. Angewurzelt stehe ich still. Ich fühle, wie eine winzige Nadel mein Ohrläppchen ritzt.
Rückzug aller Spione.
Öffnen der Tür...


Ein tropischer Garten tut sich auf. Exotische Gewächse, Orchideen; Lianen fesseln den Blick. Einen gewundenen Gang entlangschreitend beobachte ich die Pflanzen, ja ich studiere diese kleinen und großen Wunderwerke der Natur.
Bald bemerke ich, dass der Pfad zu Ende ist. Soll ich weitergehen, ins Dickicht hinein?

Etwas reißt mich in die Höhe. Ich bemerkte nicht den Schatten des Kranes über meinem Haupt, versunken in die Betrachtung..., Faszination des Augenblicks.
Aus der Vogelperspektive schaue ich auf einen Berg weißer Kombinationen, unordentlich herumliegend.
Deutlich bohren sich die vielen G durch die Netzhaut ins Gehirn...



Mittwoch, 6. März 2013

Eine Nacht in Frankfurt

(09/2007)

Endlich mal wieder ein Hotelzimmer, in welchem man nicht den Fernseher hört, wenn das Fenster geöffnet ist.
Pulsierendes Großstadtleben direkt vor dem Balkon: Straßenbahnen, Busse, rasende LKW, kleine Fahrzeuge, hastende Fußgänger. Gegenüber gleich der Bahnhof, untenrum ("faktisch und nicht fiktiv", danke G. K.) das Rotlichtmilljöh, durchsetzt von barfüßigen, sitzenden, babytragenden Bettlerinnen und mit nach Fusel und Urin riechenden Wohnungslosen.
Verloren scheint hier der Fremde aus Ostberlin auf der Suche nach einem schönen Abendessen mit der Option, nett beim Bier zu sitzen und weiter über Timothy Truckle zu lesen. Verloren deshalb, weil selbst bajuvarisch anmutende Bierstuben den Fokus auf eine andere Art der Kundenbetreuung legen...

Nach eineinhalb Stunden zickzackförmigen Irrwegs durch die Innenstadt (ist sie das hier wirklich?) endlich eine nette Kneipe (Verzeihung: Restaurant, Bar, Lounge) gefunden. Lebendige Rosen in der Vase, nette Atmosphäre, ein Deckenspot genau auf mein Buch gerichtet, dazu noch das "richtige" Bier.
Hier die Frage (im noch fast leeren Gastraum), ob man ja auch essen wird. Freundliche Bedienung nach Bejahen der obligaten Frage. Wie im Osten etwa?!
Nach dreißig Buchseiten und einem Liter Bier zwang der Hunger oder Appetit zum Blick in die Karte. Neben italienischen Köstlichkeiten, die sich dem kartoffelbornierten Berliner nicht so erschließen, war die Karte eher knapp gehalten. Zwischen Teigwaren und Nudelgerichten erschien allein ein Rumpsteak essbar. Alle Fans dieser Küche mögen mir nachsehen, dass ich schon immer beim Italiener Paillard ausgesucht hatte, und das konstant seit etwa 18 Jahren...
Nun ja, Schwein gab's nicht.
Leckerer Weißkäse (preiselbeergarniert) mit Weiß- und Mischbrot eröffnete das Abendessen. Dann kam das fünf Zentimeter dicke, auf Rauke gebettete Rindersteak. Unverfälscht. Saftig. Medium.
Lecker!
Nach zehn Seiten "Unterschenkel" noch ein Bier (heutzutage ohne die bei dieser Marke früher üblichen zehn Prozent Reis als Gerstenmalzersatz), Pinkeln, Aufbruch.

Der Rückweg gelang, direkt diesmal, in weniger als einer halben Stunde. Es ging vorbei an rotilluminierten Häusern, durch belebte Straßen, vorbei an überdurchschnittlich vielen "unerlaubt" geparkten schwanzverlängernden Nobelkutschen. Na klar, in diesem Viertel... Für den Besucher auch ungewohnt der Anblick der ungewöhnlich vielen schlipstragenden jungen Leute. Bankfurt?
"Mahlzeit!", wenn die die Väter der kommenden Generation werden.

Zurück im Hotel, geduscht, im Liegen noch irgendwas bis zur ersten Werbepause geschaut, abgeschaltet, ...alles abgeschaltet.
Tiefer Schlaf, ab und zu unterbrochen von extremen Krach. Blick zur Uhr: "Super! Ich kann ja noch weiterschlafen..."