Dienstag, 22. Februar 2011

Ein Erfinder

(04/1984 aus "Die Treppe ins Jenseits")

Schön finde ich mich nicht gerade, nur sehe ich momentan keine andere Lösung.
Mit diesem wilden Bart passe ich wohl ganz gut in einen historischen Film, in einen Film, vollgestopft mit Räubern und Vagabunden, nur was sollte ich machen?

Überall sehe ich mein Foto – beschlipst, gut gekämmt, eben gepflegt – in den Tageszeitungen, in allen Illustrierten, selbst in Schaufenstern, an Kiosken und (ich trau' es kaum auszusprechen) in Kneipen.
Ich bin also auf der Flucht vor meinem Gesicht, vor mir selbst.
Alle Kommunikationskanäle berichten unablässig über mich, über meine Erfindung…

Die Welt schient wieder heil zu sein, teils wegen meines Patentes, teils wegen des Besitzes eines vermeintlichen Idols. Nur, ich bin nicht für diesen Rummel um meine Person, und offensichtlich bin ich sogar erfolgreich mit meiner Maskerade: In der Metro rückt man von mir ab und Ordnungshüter verlangen laufend meine Kennummer (natürlich ohne Positivergebnis im Fahndungsregister).
Glücklich die Welt, die ohne Namen auskommt! Nur Idole bekommen Namen…, jedenfalls für die Dauer der Anbetung.

Sollte man mich irgendwann einmal enttarnen, würde sicherlich die Suizidrate enorm emporschnellen. So, wie meine Erfindung das Glück bringt, würde meine Person nur neue Tragik hervorrufen. Ich bin aber nun einmal kein Rampenlichtmensch!
Meine neue Identität wird sich festigen, meine Maske wird zur personengebundenen Tatsächlichkeit werden. Kein Anbeten mehr!
Für den Fall, dass diese Zeilen einst gefunden werden: Ich bin 057-22.1124(1)3/194, genannt „Der große Retter“.
Falls dieses Schriftstück so viele Tempoperioden überdauern sollte, dass sich niemand mehr meiner Erfindung entsinnt, einige kurze Erläuterungen dazu:

Es handelt sich um eine bahnbrechende Idee, die der allgemeinen Desensibilisierung unserer Zeit entgegenwirken wird. Das gegenwärtige Straßenbild ist je gekennzeichnet von träge dahin fließenden Autoschlangen. Deshalb wurde der Ausbau separater Gleisstrecken dieser rasenden Elektrozüge forciert. Die Vorteile sind jedem einleuchtend.
Einziger Nachteil: rapider Anstieg der Unfallhäufigkeit unaufmerksamer Passanten.

Ich habe nun ein Pulverchen synthetisiert, welches Hämoglobin augenblicklich in einen grünen Farbstoff überführt. Den Fußgängern und Fahrgästen wird damit der schreckliche Anblick erspart…

In unserer Stadt grünt es jetzt wieder überall. Im Rahmen der Aktion „Grün muss in die Großstadt“ konnten sogar die letzten Schutzgitter abgebaut werden, was enorme Reserven bei der Sekundärrohstofferfassung erkennen ließ.

Ich bin stolz auf meine Erfindung, aber viel zu bescheiden, den Ruhm zu genießen. Lieber bleibe ich anonym und tüftel in aller Ruhe neue Verbesserungen aus. Momentan bastel ich an einer Ampel zur Regulierung der Bevölkerungsdichte, Erfindungsvoranmelde-Nr. c11/294-e²(31).
Vorausschauend werden an den Ampelschäften natürlich gleich Selbstbedienungsbehälter für Grünstaub® vorgesehen.

Dann werden wir bald in einer grünen Oase leben…











Freitag, 18. Februar 2011

Frühsymptome oder die ungerechte Selektion

(01/1984 aus "Die Treppe ins Jenseits")

Ich bin noch immer bei meiner alten Angewohnheit, allmorgendlich zu Fuß zur Arbeit zu gehen, obwohl seit Jahren die günstigen Kabinentaxis jeden beliebigen Ort in unserer Stadt ansteuern. Der Weg ist alles andere als schön, aber die kühle Morgenluft vertreibt mir den Schlaf aus den matten Gliedern. Kurz vor dem Aus-dem-Haus-Gehen höre ich regelmäßig den Wetterbericht der Sieben-Uhr-Nachrichten, wobei ich längst bemerkt habe, dass die fälligen Meldungen des Luftüberwachungsdienstes seit langem ausbleiben.

Nicht wenige meiner Kollegen und Bekannten werten dies als Verbesserung der Luftqualität. Ich weiß es besser, denn meine Nase ist ein ausgezeichneter Detektor, und bei Überlastung selbiger schaltet sich das System Augen hinzu. Meist erscheine ich dann vertränt im Büro, wobei die Salzbäche der gereizten Sinnesorgane dunkle Spuren auf den eingecremten Wangen hinterlassen.

Die Luft steht still, wird nur durch die vorbeirasenden Verkehrsmittel durchwirbelt. Nässe, die auf allen Gegenständen angesiedelt scheint, spritzt hoch, wird durch den Sog der Fahrzeuge ein Stück mitgerissen. Tropfen, fein zerstäubt, folgen den Gesetzen der Schwerkraft und tauchen in die Anonymität der Pfützen zurück. Einige finden Halt an lackierten oder verchromten Karosserien und werden kilometerweit fortgetragen, um mit anderen Millionen Tröpfchen immer wieder neue Rinnsale und Lachen zu bilden.

Ich trete unter dem Vordach unseres Hauseinganges hervor, begebe mich selbst in dieses monströse Aerosol aus Dreck und Nässe. Mein Cape verhüllt meine Stirn. Die linke Hand ist tief in den Ärmel eingezogen, um den frischen Verband vor dem Schmutz zu bewahren. Rechts trage ich meinen Aktenkoffer, der mir heute besonders schwer vorkommt, da auch hier die ersten Hautfalten und Fingergelenke einzureißen beginnen, und somit vom Griff ein brennender Schmerz ausgeht.
Die Ärzte stehen diesem Leiden ohnmächtig gegenüber, verordnen mildernde Salben, schützenden Cremes… Erfolglos!

Eigentlich habe ich aber noch nicht zu klagen. In den Sprechstunden sah ich weitaus schlimmere Fälle: wimmernd saßen Patienten im Wartezimmer, nur noch auf die euphorisierende Spritze wartend, hoffnungslos mit ihren Ekzemen zu langsamen Siechtum verurteilt.

Ich versuche mich abzulenken, blicke in die entgegenkommenden Autoscheinwerfer und lasse mich von den Reflektionen auf der nassen Straße faszinieren. Geblendet von der Lichtfülle der gelblichen, Wärme ausstrahlenden Lampen, vergesse ich einen kurzen Moment die eintönig graue Straßenkulisse, hinter deren Fassaden ich mir die kalten, sterilen Räume vorstelle, alle getaucht in gleißendes Neonlicht.
Heruntergedrückte Rauchschwaden vernebeln für Momente die Sicht, um danach neue heranrasende Lichtpunkte aus dem Schleier zu enthüllen.

Als ich im Büro ankomme, empfängt mich schon der Duft von frischgebrühtem Kaffee, einem Spitzenprodukt unserer chemischen Industrie. Freundlich werde ich begrüßt, ohne dass man mir jedoch die Hand reicht.
Als ich meine Pelerine in den Schrank hänge, spüre ich die vielsagenden, mitleidigen Blicke im Rücken, auf mich gerichtet, auf meinen weißen Verband…
Niemand spricht darüber. Jeder vermeidet in meiner Gegenwart jedwede Gespräche zu irgendwelchen Krankengeschichten.
Als ich etwa eine Stunde später im Waschraum den obligaten Verbandswechsel vornehme, den ich mittlerweile perfekt einhändig beherrsche, bemerke ich, dass sich die Haut jetzt schon bis zu den Ellbogen in dunklen trockenen Schuppen abzulösen beginnt.

Von jetzt an werde ich mich in der Kabine einschließen, wenn ich den Verband wechseln muss.