Dienstag, 17. Juni 2014

Harakiri auf dem U-Bahnhof

Kennen Sie diesen U-Bahnhof?
Dann wissen Sie ja, warum so häufig staatliches oder BVG-eigenes "Sicherheitspersonal" Präsenz zeigt. Dieses Vorspiegeln ist aber wie das Tragen einer Sonnenbrille: Niemand weiß, wohin der Blick eigentlich gerichtet ist, ...ja, ob überhaupt die Augen offen sind.
Ich will auch gar nicht so genau wissen, was dort und im Zwischengeschoss alles umgeschlagen, verhökert oder vereinbart wird, wenn es doch nur fern vom eigenen Heim geschieht.

Ehe ich zum eigentlichen Thema komme, muss ich aber doch noch etwas ausholen.
Die Bettelei in unserer sauberen Stadt wird eindeutig aggressiver. Wer verdreht nicht schon die Augen, wenn moderne Wegelagerer mit Musikinstrumenten den Waggon stürmen, einen Titel lediglich anspielen, um dann sogleich den Obolus einzusammeln.
Oder jemand, bepackt mit allen Habseligkeiten, drängelt sich durch den vollen S-Bahn-Zug, nennt sich selbst den "Stinke-Siggi", spricht Fahrgäste direkt an und wünscht - insgesamt erfolglos geblieben - allen eine schöne Krankheit.
Da sind mir doch die Lügengeschichten und blöden Gedichte lieber, die man auch hin und wieder zu hören bekommt. Jedenfalls kann man dann leichter weghören und einfach weiterlesen, als beim knapp angespielten Evergreen, der jedes Rhythmus-Bein nach dem abrupten Ende zum ewigen Weiterzappeln verdammt.
















Verdammt!
Es war anno 1974 beim Freiluftkonzert in Muldenstein (Kreis Bitterfeld). Ein paar Miezen erbettelten Groschen für die Rückfahrtkarte und tranken gegen Ende des Konzerts nur noch Jungfernbrücke süß.
Einst 1977 in Budapest krempelte sich zum Feierabend ein kniebehinderter, an Krücken laufender, Bettler das Hosenbein über den blutigen Verband und ging nun völlig unauffällig, die Krücken unterm Arm, nach Hause...

Etliche Jahre hat es gedauert, offensichtlich vorgetäuschte Bedürftigkeit zu durchschauen und unserem Staat die alleinige Obhut anzuvertrauen, also ungerührt weg- oder direkt hinzugucken. Manchmal sogar provokant.
Elbogen benötigt man gelegentlich auch, wenn sich ganze Banden an der roten Ampel auf die Frontscheibe (zur besseren Durchsicht) stürzen wollen, aber weiß ich denn, ob die auch den richtigen Schäumer nehmen, den richtigen Fenstergummi?
An meinen Lack lass' ich nur Wasser und CD...

Des weiteren Ausholens nun müde, komme ich langsam zum Kern der Geschichte.
Erinnern Sie sich noch an den Film Harakiri? Bei uns lief der damals im Studentenkino. Es geht um einen Ronin, der Gaben erhofft, wenn er darum bittet, im (wohlhabenen) Anwesen Seppuko begehen zu dürfen. Normaler Weise schickt man ihn weg, nicht ohne ihn vorher ausgiebig zu beköstigen (und für die nächste Zeit zu versorgen).
Nur, ein Herr sagte: "Ja bitte. Kommt herein!".

Leider hatte der Protagonist nur noch eine Schwertimitation aus Bambus, ...und auch keinen assistierenden Schwertträger.
...aufwühlend und beeindruckend und dem gemeinen Mitteleuropäer in Sachen Ehrgefühl eher fremd.

Nun ja, wir sprachen ja vom U-Bahnhof Jannowitzbrücke, allgemeiner Umschlagplatz und hin und wieder mein Umsteigebahnhof. Dortselbst also, von mindestens drei Passanten scheinbar abgewiesen, sprang ein "Ronin" ins Gleisbett, als der Zug gerade einfuhr.
Der Zug bremste scharf. Seitdem weiß ich auch, wie blöde die U-Bahn-Hupe klingt.
Und der Mann kletterte ziemlich knapp, aber eben gerade noch rechtzeitig auf den Bahnsteig zurück.
Meine eher sparsame Reaktion war der laute Ruf "Blöder Idiot!" und ein Wegdrehen, wahrscheinlich, um den Blutspritzern und umherfliegenden Bröckchen zu entgehen...

Irgendwann geht das mal schief: ein verknackster Knöchel, ein Straucheln, ein Abrutschen an der Kante.
Und dazu wird mir dann höchstens einfallen: "Blöder Idiot und Scheiß Zugverspätung!"

(06/2014)