Samstag, 14. Juli 2012

Ehrenfriedhof

(07/1981 aus "Barfuß durch den Müll")

Er war ein bedeutender Staatsmann.
Davon kündet die Ehrenwache vor seinem Grab.
Prunkvoll auch der Grabstein, ständig von frischen Blumen geschmückt.

Bewunderer aus aller Welt lassen sich in Pose fotografieren: Erinnerung an eine politische Wallfahrt.

Eine Büste am Eingang lässt die Besucher bewundernd aufschauen. Und immer, wenn die Lobpreisungen auf die Weisheit und Schönheit des früheren Staatsmannes eine unsichtbare Schwelle überschreiten, hört man trotz des Gemurmels, wie die Blätter des jungen Bäumchens an seinem Grab herausfordernd rauschen:
"Seht zu mir! Ich bin aus seiner Substanz."











Donnerstag, 12. Juli 2012

Arbeiterwohnheim im Lauchagrund 1981

(1981; aufgeschrieben 07/2012)

Da standen sie nun, die zwei Neubauten im Lauchagrund, im Nichts.
Auf dem Weg dort hin musste man am meist rauschenden, stets anders farbigen und immer anders stinkenden Bach vorbei.
Hieß der vielleicht Laucha?
War das ein geheimer Entsorgungskanal in die Saale?

Man war jedenfalls nicht weit weg vom Arbeitsplatz, wenn man in der schönen Einraumwohnung mit Küchenzeile war, die man sich noch mit mindestens einem anderen Bunawerktätigen teilen musste.
Früh noch im Bett, weil gerade aus der Nachtschicht gekommen, erlebte man hin und wieder eine "Zimmerkontrolle". Angeblich ging es um den Brandschutz, nicht um Schnüffelei. Kippen im Mülleimer und so.
Ja, die Heimleitung kannte meinen Schichtplan nicht, da ich quasi oft als "Springer" zwischen Tagschicht (7:15 bis 16:45 Uhr) und 12-Stunden-Wechselschicht (6:00 bis 18:00 oder 18:00 bis 6:00 Uhr) hin und her hüpfte...

Arbeiterwohnheim!
Das war jedenfalls ganz anders als das "Studentenwohnheim".
Hier war man ganz und gar fremd, sehr einsam, hatte weder Aufgaben, noch Belegarbeiten zu schreiben. Kein kollektives Pauken und Feiern, ...nur Alkohol, der den Alltag, das Nichts, vernebelte und auch die Träume hin und wieder verschleierte.
Eine z. B. hatte immer eine fertig gepackte Reisetasche, falls ihr Prinz (ein Kraftfahrer, der regelmäßig den Flüssigsauerstoff aus der Lindeanlage abholte) sie irgendwann irgendwohin mitnehmen würde...

Und dann war da doch wieder nur Sternburg Hell, mindestens 'n ganzer Kasten, und manchmal 'ne Pulle Kumpeltod - keine Ahnung, woher die kam.

Neuer Tag: Nach der Schicht Duschen im Werk und nochmal Duschen im Wohnheim. Man hatte etwas abzuwaschen.
Anziehen. Ab in die Spur!
"Alchimistenfalle" oder "Wirtschaft" oder "Wärmetauscher" oder oder oder.
Mit dem Dienstrad ging es die paar Kilometer nach Merseburg.
Selten Erinnerung an den Rückweg.
Manchmal auch wundersames Erwachen ...irgendwo, aber immer nirgendwo.

Wieder Schicht.
Wachhalten mit Wasserschlacht: 13-Meter-Bühne mit Destillat gegen 6-Meter-Bühne Feuerwehrschlauch. Höhenvorteil gegen Wasserdruck.
...Wasserdruck hat meist gewonnen.

Duschen und Haarewaschen mit Sulfopon® - nichts schäumte besser, und irgend woher muss ja die heutige Glatze stammen.
Übergabe, Schichtende, X50, Sternburg Hell.
Manchmal auch Lauchagrund mit dieser oder jener, oder mit dieser und jener.
Morgens immer Spezialtoast mit Rauchsalami und irgend einem Käse.
Dieses kulinarische Ereignis sprach sich sogar rum...

Irgendwann Rumsitzen auf'm Kasten Bier, G-Moll-Mundi dabei. Einer holt noch 'ne Gitarre. Blues.
Blues der spontanen Art. Nicht perfekt, wenig melodisch, überhaupt nicht synchron, trotzdem schön.

Daraus wird ein Bluesklub!
Du übernimmst die Kellerschlüssel, ick kümmere mich immer ums Bier.

Nach Feierabend Bier und Musik im Lauchagrund - mindestens zwei Niveaunoten über dem Standard. Mundi und Summen statt halbanonymes Kuscheln und Grapschen im Fernsehraum, Bier und Gitarre anstatt in der einzigen Kneipe in Schkopau vom Stuhl zu fallen.
...sogar drei Niveaunoten besser.

Gäste kommen. Heimbewohner kommen, und nicht nur des Bierkastens wegen.
"Ach, Du bist beim Betriebsschutz!? Hab' Dich bestimmt schon mal in Uniform rumlaufen sehen...".
"Nee, Pelzerhemden gibt es im Moment nur im Karbid. Kannst aber eins von mir abhaben."
"Gibste mir mal die Klampfe rüber?"
"Könntest mal wieder Pflaumenmus und Ketschup aus Berlin mitbringen ...und Cabinet."
"Spee gekörnt soll es da ja immer geben."
Sternburg, Blues, Quatschen. Jemand schenkt mir die Deep Purple in der Royal Albert Hall.
Sternburg. Quatschen. Manche tanzen sogar.



Zwei Wochen später wurde der Klub, der ja noch gar nicht richtig existierte "geschlossen". Der eine Kellerraum wurde uns wieder weggenommen, weil angeblich die Klubkasse gestohlen worden war. Welche Klubkasse?
So etwas hatten wir überhaupt nicht.

Der Buna-Blues-Klub im Lauchagrund starb lautlos, und genau heute, am "Goldenen Bühnenjubiläum" der Stones, über dreißig Jahre danach, finde ich bei GoogleMaps nicht einmal mehr die beiden Wohnheimbauten...