Freitag, 22. Juni 2012

Die Plus-Variante

(11/1983 aus "Die Treppe ins Jenseits")

Zwei Wochen hatte er sich schon am Institut bereithalten müssen, wartend auf die Zulassung zum Reaktionstest. Die Zeit verbrachte er mit Lernen. Er trieb Sport oder hörte im Sphärensaal die herrlichsten Konzerte.
Jetzt wurde er endlich ins Examen gerufen, ganz plötzlich, ohne Einstimmphase...

Der Eignungstest begann für Klaus F. sehr vielversprechend; es wurde eine Situation simuliert, die er oft gedanklich durchgespielt hat, Havarie in einem Erdöldestillationskomplex mit Brandfolge.

Für einen kurzen Moment jagten seine Gedanken alten Erinnerungen nach. Er sah sich am Schreibtisch sitzen, das grübelnde Gesicht dicht über Berechnungsblätter und Skizzen gebeugt; sein Sohn spielte viel zu laut, seine Frau verrichtete mürrisch, weil allein, die Hausarbeit.
Stress für alle Beteiligten, böse Worte...

F. konzentrierte sich wieder auf seine Prüfung. Zuerst veranlasste er die Separierung der Gefahrenzone, gleichzeitig alarmierte er die Feuerwehr und berief einen Krisenstab.
Während der Dialoge mit dem Computer gewann er mehr und mehr seien innere Ruhe zurück. Er war jetzt ganz auf dieses Spielchen eingestellt...

Der Brand hatte sich ausgebreitet.

Teilweise leckten schon Leitungen an der Hochdruckkolonne. Was war zu tun? Der Simulator gab die Empfehlung zum Ausfahren des Prozesses. Sofort verkrampfte sich seine Muskulatur, als fühle er die Unstimmigkeit dieser Variante körperlich, und als wolle er diese abwehren.
Seine Gedanken gingen aber auch diese Möglichkeit durch. Emotionslos registrierte der Computer einen Druckabfall in der Kolonne, das Durchschlagen der Flammen, eine gewaltige Explosion, verheerende Verwüstungen.
Klaus F. entschied sich gegen diese Vorgehensweise.

Wieder gab ihm ein Jemand als innere Stimme einen neuen Vorschlag ein.
F. durchdachte mögliche Folgen, überlegte, ...verwarf.

Druck! In elektrische Impulse umgewandelte Bioströme durcheilten den Apparat, wurden in reservierten Speicherplätzen gesammelt.
Druck! Mehr Druck! Der Rechner registrierte eine gesteigerte Gedankenintensität.
Klaus F. zitterte. Schweißperlen bedeckten seine Stirn. Seine Kleidung war ohnehin durchnässt...
Er sah die Flammen größer werden und stellte erleichtert fest, dass die akute Gefahr des Durchschlagens gebannt war.

CR-04 registrierte nun alle Reaktionen und speicherte. Zehntel später registrierte er gleiche Signale über Eingang 024, dann von 130. In dieser Frage bestand also Übereinstimmung bei mindestens drei Kanälen. Laut dem vorgegebenen Programm wurde wurde diese Variante jetzt im Klartext im Konferenzraum aufgezeigt:

HD-Kolonne Pos. 1.602 +++ 10 % Druckerhöhung - Plus-Variante 3 +++ Indifferent 2 - Korrektur - Plus-Variante 4 +++ Indifferent 0 - Minus-Variante 1 +++ Umschaltung auf Informationscode 02 +++ Stop

Klaus F. suchte gedanklich schon nach entsprechenden Löschmaßnahmen, als der Simulator selbsttätig die Bildschirme mit Temperatur-Druck-Kurven und Stahlversprödungsangaben abschaltete.
Erschöpft sank er in den Sessel.
Durchgefallen?

Die Kabinentür wurde geöffnet. Durch die halbgeschlossenen Lider erkannte er hellgekleidete Gestalten, die ihm Elektroden entfernten, Riemen lösten.
Parallel dazu wurde der Druck in der Kolonne 1.602 um 4.5 MPa erhöht, während der Rechner nun Informationen von Feuerlöschexperten sammelte und verglich...