Mittwoch, 22. Februar 2012

Gasmaskentasche statt Hirschbeutel

(02/2012)

Erinnerungen eines Trampers

Na ja, 'n Hirschbeutel hatte ich erstmals bei meinen langhaarigen Kindern gesehen. Wusste auch überhaupt nicht, dass der in der DDR Szeneutensil war.
Ist aber auch kein Wunder, denn die echten Jeans, am Knie zerrissen, unten ausgefranst, für meine Besuche bei der Neuapostolischen Kirche und danach im Russenmagazin, musste ich mir sowieso borgen.
Wo fängt eigentlich der Habenichts an?
Hatte nichts und habe nichts!

Die erste eigenen Jeans (wohl aus Brasilien) kaufte ich in Ungarn auf dem besonderen Markt, auf dem Hunde und Polizisten keinen Zutritt hatten. Jahre später wurde aus der Hose dann ein Weste...
Shell-Parka? Fehlanzeige. Stattdessen gab es eine schwarz eingefärbte Flecktarnjacke aus NVA-Beständen, die nach jedem Waschen mehr und mehr Schwarz verlor. Sternburg Hell und die Karo wurden in einer sowjetischen Gasmaskentasche rumgetragen, ehe die mal in einem Moskwitsch liegen blieb.

Getrampt wurde überall. Sogar auf den (leeren) Autobahnen oder Auffahrten.
Nach dem Aufgabeln durch die Polente ging es dann auch mal mit 135 zur nächsten Raststätte.
Einmal musste eine Mark Ordnungsgebühr bezahlt werden. Bestimmt hat der Wachtmeister danach die aufgenommenen Personalien weggeworfen. Danke.

Lenin wurde verehrt, und dafür wurde ans Mig-15-Denkmal gepinkelt. Ausgleichende Gerechtigkeit?
Es hat niemand gesehen, nichtmal einer vom Regiment von nebenan.

Apropos Russen, also Freunde oder besser, Brüder (Brüder kann man sich nämlich nicht aussuchen), die haben einen sogar mitgenommen, wenn es geregnet hat. Die hatten keine Angst, dass die Polster nass würden.
Und danach hatte man auch drei Tage wieder was zu rauchen: Machorka der allerfeinsten Sorte. Jedenfalls für jemanden, der neben Karo (MDN 1,60) nur Caney (MDN 2,50) und Ligeros (Die Leichten, MDN 2,-) kannte. Die letztgenannten Sorten gab es allerdings nur im Havanna-Laden unter den Linden.

Noch schnell eine Konzertkritik.
Ja, seit 1974 schuldet mir die Fischer noch ein Konzert. Das fand wohl im Schlosshof in Merseburg statt. Aber wegen der geplanten Lichtshow wurde lange gewartet. Wirklich sehr lange.
Leider zu lange für mich, der pünktlich 23:00 Uhr wieder im Internat zu sein hatte.
Ich nehm's ihr wirklich übel, auch wenn ich sie danach noch mal in X50, dem Bunaklubhaus, hören und sehen durfte!
Noch mehr ärgert mich aber, dass sie erst in die Partei wollte (Die Junge Welt hatte ausführlich über die Kandidatenaufgaben berichtet) und kurz danach in den Westen gegangen ist.
Aber auch dieses Ereignis prägte.

Auch wenn ich meinen Enkeln den Traumzauberbaum vorspiele, muss ich immer noch daran denken.
...und wenn ich mal wieder Zeit habe, erzähle ich von den zwei Wochen der Bluesgemeinde im Bunawohnheim im Lauchagrund 1981.
Das war auch so ein Ding.
Könn'se mir glauben!
Naja, bei meinem alten Pelzerhemd muss ich jedenfalls inzwischen die Ärmel hochkrempeln. Die sind einfach zu kurz geworden...

2 Kommentare:

  1. Sehr schön. Ich hatte mich gerade an etwas ähnliches erinnert.

    Ich musste an die Heimatkundebeutel denken. Schnell in Google gesucht, Heimatkundebeutel gibts nicht. O.K., Blueser gesucht, aha, Tante Wiki kennt Blueser. Oh, Hirschbeutel nannten die Anderen die Dinger. Komisch, bei uns (Magdeburg-Reform) hießen die Heimatkundebeutel. So bin ich auch auf den Blog gestoßen.

    Ich war damals zu jung (vielleicht 10 oder 12 Jahre alt), aber Blueser hatten in unseren Auge etwas bemitleidenswertes. Heute sehe ich das anders und wünschte mir, Teil einer Ost-Subkultur gewesen zu sein. Metaller oder Punk ging nicht. Die hatten einfach keinen Groove. Das hat man davon, wenn man zwischen den Jahren geboren wird und zur richtigen Zeit keine vernünftige Subkultur angeboten bekommt, weil die eine schon wieder out und die aktuelle Mist ist.

    Dann kam die Wende, naja und dann gab es von allem etwas, bischen Gothik und New Wave, bischen Hiphop, Jazz und Funk, bischen Manchaster Rave. Aber so richtig eingestiegen in eine Szene, das habe ich irgendwie verpasst.

    Was mir besonders imponiert ist, dass solche Ost-Subkulturen nichts mit Kommerz zu tun hatten. Es gab die Sachen eh nicht zu kaufen. Hirschbeutel wurden selbst genäht. Metaller ließen sich Aufnäher für Jacken auf Bettlakenstoff malen. Unglaublich. Heute kann man sich die Zugehörigkeit zu jeder Art von Subkultur kaufen. 1000 Euro für ein Outfit und man sieht perfekt wie James Dean aus. Das ist so authentisch wie Disneyland.

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    1. Danke für den Kommentar.
      Ich glaube, man ist immer irgendwann "zwischen den Jahren" geboren. Die Stones hatten ihr Debüt am 12.07.1962 und da ging ich noch nicht einmal zur Schule...
      Trotzdem werde ich heute nochmal den ganzen Abend Stones hören und (solange ich zu Hause keinen Ärger bekomme) Mick und Konsorten mit der Mundi begleiten.

      Wir haben dieses "Goldene Jubiläum" allerdings schon vor einem Monat gefeiert. Nachzulesen hier oder hier:

      02. Juni 2012: 50 Jahre Rollende Steine in Berlin-Biesdorf
      http://www.blueser54.de/255.html

      50 Jahre Rollende Steine
      http://frosch-frosch-frosch.blogspot.de/2012/06/50-jahre-rollende-steine.html

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